GASTBEITRAG: Der Drang zur Perfektion
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Gastbeitrag von ZEITLICHKEITEN
Autorin: Annalena Hörl
Wir sind eine kleine Marke, die den Menschen mehr Zeit für sich geben will. Das Printmagazin Zeitlichkeiten ist das Herzstück von ZEITLICHKEITEN. Ein Coffeetable-Magazin zum wohlfühlen, wegträumen, einsehen und weitblicken. Für mehr Ästhetik, Achtsamkeit und viel Liebe zum schönen Wort. Kein Platz für Werbung, Diäten und Klatsch, dafür aber umso mehr Raum für Kreativität, Ruhe und Inspiration.
Zwischen dem Drang nach dem perfekten Äußeren und Selbstliebe
Der Drang zur Perfektion. Ein Gefühl, das unsere Gesellschaft kreiert hat und durch die sozialen Medien verbreitet wurde und noch immer wird: 90-60-90, Thigh Gap, Bikini Bridge, schlank, aber an den richtigen Stellen Kurven, eine Stupsnase, volle Lippen etc. Mit all diesen Schönheitsidealen werden wir tagtäglich in der Onlinewelt konfrontiert. Vermeintlich perfekte Fotos auf den Social Media Plattformen prägen sich in unser Gedächtnis ein und lassen uns nach eben dieser Perfektion streben. Selbst der kleinste Makel wird durch wenige Klicks dank zahlreicher Bearbeitungsprogramme und Apps retuschiert.
Auch wenn in den letzten Jahren ein gewisses Umdenken stattgefunden hat – sich mehr für Individualität eingesetzt wird – ist diese Scheinwelt noch immer fest verankert. Und das nicht nur online, sondern auch in unseren Köpfen. Viele halten dem Druck nicht mehr stand und das Resultat daraus ist: Essstörungen, Depressionen oder auch Schönheits-Ops. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass an Ops gar nichts verwerflich ist. So eine Entscheidung sollte aber nur getroffen werden, wenn man es auch wirklich selbst will und nicht, weil andere einen dazu drängen.
Um nun mal etwas persönlicher zu werden: Auch ich habe mich in der Vergangenheit unter Druck gesetzt gefühlt, perfekt sein zu müssen. Das Resultat daraus war, dass ich als Teenager eine Essstörung entwickelt habe. Durch unfassbar ungesunde Diäten und Sport habe ich versucht, dem zu entsprechen, was Social Media mir gezeigt hat. Damals war mir noch nicht klar, wie sehr sich die Realität von dieser Scheinwelt unterscheidet.
Auch wenn mir heute bewusst ist, was ich täglich konsumiere und zu sehen bekomme, gibt es immer noch Tage, an denen ich mich von diesem „perfekten Schein“ blenden lasse und mich in meinem eigenen Körper nicht wohlfühle. Tage, an denen ich mich am liebsten nur unter meine Bettdecke verkriechen möchte. Vielleicht geht es dir da ja auch so? Vielleicht hast du ja auch Momente, in denen du es meidest, in den Spiegel zu sehen, enge Klamotten zu tragen oder gar dein Zuhause zu verlassen. Aber an diesen Tagen darfst du nicht vergessen, dass du nicht allein damit bist, denn letzten Endes hat sich genau daraus die Selbstliebe-Bewegung entwickelt. Immer mehr Influencer und Unternehmen thematisieren die Liebe zum eigenen Körper. Aber was bedeutet das eigentlich genau?
Kurz zusammengefasst: Selbstliebe ist die Liebe zu uns selbst. Doch da steckt noch so viel mehr dahinter. Bei Selbstliebe geht es nicht nur darum, dass du deinen Körper so akzeptieren kannst wie er ist, mit all seinen Besonderheiten, sondern vielmehr, dass du all deine Stärken und Schwächen akzeptieren kannst. Also nicht nur auf deinen Körper bezogen, sondern auch auf deinen Charakter. Einfach auf das gesamte „Du“.
Hört sich ja zunächst alles schön und gut an. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass ich mich zunächst von dieser Welle der Selbstakzeptanz ebenfalls unter Druck gesetzt gefühlt habe. Von überall tönte es, was man tun muss, um zu sich selbst zu finden, um mit Selbstliebe durch das Leben zu gehen. Ich hatte das Gefühl, ich müsste all diese Tipps in mein Leben integrieren und umsetzen. Das Ergebnis: Stress und noch mehr Unzufriedenheit.
Ich habe zahlreiche Blogs gelesen und Podcasts gehört, alle Tipps herausgefiltert und mir die perfekte Morgen- und Abendroutine für mehr Selbstliebe erstellt. Aber habe ich es mal nicht geschafft, Yoga zu machen, weniger Social Media zu konsumieren oder mich mit anderen zu vergleichen, war die Niederlage groß und ich wollte mich wieder am liebsten unter meine Bettdecke verkriechen. Der Teufelskreis fing also wieder von vorne an, aber nun durch eine Sache, die mir eigentlich guttun sollte.
Und das war der Moment, wo mir eine Sache klar wurde: Bevor ich zur Selbstakzeptanz kommen kann, muss ich zunächst einmal wissen, wer ich überhaupt bin.
Wie weiß ich, wer ich bin?
Ich holte mir Stift und Papier und fing an zu schreiben. Ich schrieb auf, was ich alles erlebt habe, was davon gut, aber auch schlecht war, was ich in meinem Leben hätte anders machen sollen und worauf ich stolz bin. Ich schrieb auch auf, was meine Werte sind, was mir persönlich wichtig ist und was ich mir für meine Zukunft wünsche. Ich schrieb einfach all meine Gedanken auf. Als ich damit fertig war, auf das vollgeschriebene Blatt schaute, wusste ich, wer ich bin. Ich bin das alles, was dort steht. Nicht nur ein Wort oder ein Satz macht mich aus, nein, das alles. Und als ich das realisierte, spürte ich in meinem inneren Stolz. Stolz für das, was ich geschafft habe. Stolz darauf, wer ich bin.
Wie ging es weiter?
Dadurch, dass ich mir all das vor Augen geführt habe, schöpfte ich Kraft aus den Dingen, auf die ich stolz war. Jedes Mal, wenn ich gemerkt habe, dass ich mal wieder an mir zweifle, erinnerte ich mich an meine Stärken und Erfolge. Aber vor allem: Ich fing an, auf meinen Körper zu hören. Yoga und Sport mache ich immer noch, aber nicht mit dem Hintergedanken, mein Äußeres zu verändern, sondern weil es mir nach einem stressigen Tag guttut. Ich ernähre mich hauptsächlich gesund, aber nicht wegen einer Diät, sondern weil ich gerne gesund esse und koche. Und ja, es gibt Tage, an denen ich es nicht schaffe, Sport zu machen, und es gibt Tage, an denen ich Kuchen und Schokolade esse. Der einzige Unterschied zu früher: Ich fühle mich nicht mehr schlecht, denn ich höre auf das, was mein Körper mir sagt, auf das, was mein Körper braucht und nicht mehr auf die Online-Welt.
Klar gibt es Tage, an denen ich wieder Selbstzweifel und den gesellschaftlichen Druck spüre, aber dann setze ich mich wieder mit Stift und Papier hin, schreibe meine Gedanken auf, akzeptiere meine Gefühle, lasse sie zu und lebe sie aus. Denn ich weiß, dass tief in mir meine Selbstliebe schlummert. Ich muss sie nur wieder erwecken. Und mit jedem Wort, mit dem ich das weiße Papier vor mir mehr und mehr fülle, fühle ich mich wieder freier und leichter. Und mit der Gewissheit, dass alles wieder gut wird, schreibe ich den letzten Buchstaben und setze einen Punkt.